Im Interview mit Puls4 berichtet Rechtsanwalt Dr. Johannes Öhlböck über aus seiner Sicht als Vertreter von vielen Opfern, beginnend von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Situation heute.
"Eine der beiden Schwestern hat mich angerufen. Es war ein Anruf wie jeder andere. Gefragt wurde nach Schadenersatz und Verjährungsfristen und wie ich dann mit meinen Fragen begonnen habe, in die Tiefe zu gehen, habe ich mitbekommen: das ist kein Fall wie jeder andere. Das ist etwas Singuläres, etwas Besonderes. Ich habe die Frauen gebeten, mir etwas Zeit zu geben, damit ich eine Literaturrecherche mache und sie dann zurückrufen darf. Das habe ich auch durchgeführt und habe gesehen, das ist ein Fall, wie wir ihn bisher in Österreich noch nicht hatten.
Wir sprechen von den moralisch wie sittlich verwerflichsten Taten, die wir uns vorstellen können. Wir sprechen von Verbrechen, die unsere Rechtsordnung kennt, Vergewaltigung in schwesters Form, Körperverletzung, möglicherweise Sklaverei oder sklavereiähnliche Zustände."
Ich habe versucht, die Stadt Wien bzw. die handelnden Verantwortlichen, die heute handelnden Verantwortlichen zu kontaktieren und ein persönliches Gespräch zu finden, über E-Mail über Telefonanrufe, ich bin persönlich dort vorstellig geworden, ich habe es über Personen versucht, die diesen Personen nahe stehen, aber es ist mir nicht gelungen, einen Besprechungstermin zu bekommen, um einfach diese Dinge persönlich in einem Gespräch ansprechen zu können und zu versuchen, ob es nicht eine Lösung gibt, abseits des formalen Prozedere. Leider hatte man daran kein Interesse.
Anfang Oktober 2011 sprachen die Stadt Wien und der Weiße Ring von rund 300 Opfern. Ich habe damals gesagt, dass nach meiner Einschätzung die Dunkelziffer vierstellig ist. Heute wissen wir, Stand Jänner, dass die Opferzahl bei deutlich mehr als 800 liegt, 850 rund. Wir nähern uns also dieser vierstelligen Dunkelziffer von der ich gesprochen habe, sehr rasch an. (Anmerkung: per 11. Oktober 2012 haben 1.340 Opfer ihren Fall gemeldet).
Als Rechtsanwalt bin ich Speerspitze. Ich bin gewohnt, für andere Recht durchzusetzen, für andere die schwach sind, für andere die es nicht selber können. Das ist der Kern meiner Aufgabe.
Eine Frau, die 1970 und 1971 dort am Wilhelminenberg war, berichtet von Vergewaltigungen durch fremde Männer, die auf der Krankenstation, der sogenannten Kitsch, und im Schlafraum stattgefunden haben sollen. Die erste Vergewaltigung fand danach nach 3 Wochen statt. Andere Mädchen wurden in den Dienstzimmern vergewaltigt, es waren rund 10 Männer anwesend und es befanden sich rund 20 Mädchen in den Schlafräumen. Die Vergewaltigungen fanden rund 3-4 Mal pro Woche nach Angaben dieser Frau statt.
Es gab am Wilhelminenberg zumindest 2 Mädchen, die Lues II (Syphilis) hatten bzw. von denen man das vermutete und ein drittes Mädchen, das sie offensichtlich angesteckt haben soll. Das ist das, was die Behörden in diesem Schreiben uns mitteilen. Diese Ansicht muss man hinterfragen. Sie setzt nämlich voraus, dass die Behörden davon ausgehen, dass Syphilis durch Kontakt zwischen 3 Mädchen im Alter von ungefähr 12 Jahren übertragen werden kann. Das wäre eine Übertragungsart, die nach meiner Informationslage untypisch wäre. Syphilis wird in der Regel durch Geschlechtsverkehr übertragen.
Bei unter 12 jährigen Mädchen ist das in einem Heim auszuschließen. Es bleiben damit weitere, die klassischen Übertragungsmethoden, die wunderbar in Einklang zu bringen sind mit den absolut glaubwürden Aussagen der Frauen, die sagen, sie sind vergewaltigt worden.
Gerechtigkeit erwarte ich nicht. Gerechtigkeit zu schaffen ist nach meiner Einschätzung unmöglich, denn das was hier passiert ist, dem wird nichts gerecht. Keine Entschuldigung, keine Geldzahlung, gar nichts. Das ist eine Last, die diese Frauen tragen, die sie nicht so schnell, wenn überhaupt, loswerden können. Was ich aber erwarte, ist eine Entschuldigung. Eine Entschuldigung, die dem vielleicht versucht gerecht zu werden, eine Entschuldigung, die auf Augenhöhe ist, eine Zeremonie möglicherweise. Ich habe das von Anfang an gefordert. Mittlerweile hat der Herr Bürgermeister meinen ja Vorschlag aufgegriffen."
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