Authentisches Briefpapier und Abmahnschreiben
In Schreiben auf Briefpapier von Rechtsanwalt Jörg Schmidt wird behauptet, der angeschriebene hätte einen Erotikfilm unterlaubt durch Zurverfügungstellung im Internet (via Tauschbörsen, Filesharing, usw) veröffentlicht. Das Schreiben stützt sich auf Urheberrecht und wird mit Telefafax (an Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen) zugestellt. Es werden dabei Rechte der abbywinters.com BV, Spui 10, Amsterdam, NH 1012WZ, in den Niederlanden an unterschiedlichen Pornofilmen ins Treffen geführt. efordert wird die Zahlung eines Pauschalbetrages von EUR 950,00 sowie die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, diesfalls würde man sich eine Zahlung von mehr als EUR 8.000,00 (Gerichtskosten, Schadenersatz, usw) ersparen. Die Abmahnung wirkt authentisch.
kanzlei-schmidt-berlin.de: professionelle Anwaltswebsite?
Ich prüfe daher die Website kanzlei-schmidt-berlin.de, die auf den ersten Blick professionell wirkt und ein vorbildliches Impressum (Kontaktdaten, Berufshaftpflichtversicherung, Aufsichtsbehörde, Hinweis auf anwendbares Recht, Steuernummer, Kosten Erstberatung, usw) zeigt. Ich rufe daher in der vorgeblichen Kanzlei an. Bei einem Anruf auf der im Schreiben angegebenen deutschen Telefonnummer 030-609602040 landet man in einer Warteschleife. Der Text der Telefonansage wurde von einem professionellen Sprecher gemacht.
Adresse Kurfürstendamm 234, 10719 Berlin
An der Adresse in 10719 Berlin, Kurfürstendammen 234, hat tatsächlich auch eine Anwaltskanzlei ihren Sitz. Einen Rechtsanwalt Jörg Schmidt gibt es dort allerdings nicht. Ich bin heute der "gefühlt 500ste, der wegen Rechtsanwalt Schmidt anruft", teilt mir das dortige Sekretariat mit.
abbywinters.com BV
Die abbywinters.com BV existiert tatsächlich an der Spui 10, Amsterdam, NH 1012WZ. Es handelt sich um eine Porno-Paysite, wie dem Eintrag auf Wikipedia zu entnehmen ist. Abgemahnt wird hinsichtlich des (virtuellen) Titels "Girl & Girl Pee Marigold & Christiana" (63 min).
Eintrag auf denic.de
Prüft man die Daten der Domain bei denic.destimmt zwar die Adresse Kurfürstendamm 234, 10719 Berlin, mit Briefpapier und Domain überein, allerdings führt die dort angegebene Telefonnummer +49.30482844232 ins Nirvana. Auffällig im Eintrag bei Denic ist, dass die Umlaute bei "Jörg" und "Kurfürstendamm" mit "oe" und "ue" geschrieben sind. Die angegebene Domain kanzlei-schmidt-berlin.de existiert erst kurz. Im Internetarchiv ist sie noch nicht eingetragen, was wohl daher rührt, dass die Domain erst am 13.09.2016 (also wenige Tage vor Versendung der Telefaxe) delegiert wurde.
Foto von Rechtsanwalt Schmidt von Bildagentur (shutterstock)
Das Bild des lachenden Anwalts auf der vorgeblichen Seite von Rechtsanwalt Schmidt wurde auf shutterstock.com gekauft, zeigt ein Model, und ist dort unter Bildnummer 418304131 (Urheberrechte bei Minverva Studio) lizenzierbar.
Einträge in Verzeichnissen generiert
Für Rechtsanwalt Schmidt wurden zudem Einträge in Verzeichnissen für Unternehmen und Rechtsanwälte (zB anwalt.de/164859, brownbook.net/business/41027742/rechtsanwaltskanzlei-jorg-schmidt, web2.cylex.de/firma-home/rechtsanwaltskanzlei-joerg-schmidt-11732905.html) kreirt.
Rechtsanwaltskammer Berlin bestätigt: RA Schmidt (Kurfürstendamm) gibt es nicht
Endgültige Sicherheit gibt schließlich die Website der Rechtsanwaltskammer Berlin. Sucht man dort nach dem üblichen Namen Jörg Schmidt, erhält man zwar zwei Treffer, deren Kontaktdaten allerdings nicht mit der vorgeblichen Anwaltswebsite übereinstimmen. Der vorgebliche Abmahner ist dort nicht eingetragen. Schließlich sind auch die weiters auf dem Briefpapier genannten Rechtsanwälte Gilbert Hebben und Joantan (Anmerkung: tatsächlich so geschrieben) Messerschmidt sowie Doris Kleist nicht im Anwaltsregister der RAK Berlin eingetragen. Ein Anruf bei der Rechtsanwaltskammer Berlin bringt Sicherheit. Ein Rechtsanwalt mit dem Namen Jörg Schmidt und den auf der Website kanzlei-schmidt-berlin.de eingetragenen sowie im Abmahnschreiben angegebenen Daten existiert nicht. Zudem hat die Rechtsanwaltskammer Berlin zwischenzeitig mitgeteilt, dass es sich "bei der „Kanzlei Schmidt [Urheber- und Wettbewerbsrecht]“ nicht um eine Rechtsanwaltskanzlei handelt. Keine der auf dem Briefkopf genannten Personen ist zur Rechtsanwaltschaft zugelassen." Zwischenzeitig hat auch die Rechtsanwaltskammer Wien bereits eine Warnmitteilung herausgegeben.
Warum wird keine Kontonummer angegeben?
Bemerkenswert ist allerdings, dass keine Kontonummer angegeben wird. Man fragt sich nach dem "Warum". Die Erklärung kann möglicherweise im großen Umfang liegen, in dem die Faxe versendet wurden. Würde eine Kontonummer angegeben sein, würde das bedeuten, dass die kontogebende Bank rasch kontatkiert werden und nachfolgend wohl das Konto für eingehende Zahlungen sperren würde. Die Kontoinhaber wären damit von der Geldquelle abgeschnitten. Ich rechne daher damit, dass jene Personen, die die Unterlassungerklärung abgegeben, unterschrieben und zurückgeschickt haben, ein weiteres Schreiben erhalten werden, in dem Zahlung auf ein bestimmtes Konto verlangt wird. Dabei ist davon auszugehen, dass gegenüber unterschiedliche Empfängern auch unterschiedliche Kontonummern angegeben werden, um das Risiko der Kontoschließung zu streuen.
kanzlei-schmidt-berlin.de: Inhalt gelöscht
Per 27.09.2016 ist unter Domain kanzlei-schmidt-berlin.de kein Inhalt mehr abrufbar. Das Telefon funktioniert noch.
Versuchter Betrug mit Abmahnschreiben wegen Erotikfilm?
Nach meiner Einschätzung liegt daher (auf Basis der vorliegenden Information) versuchter Betrug vor.
Das Vorgehen ist hochprofessionell. Mit Jörg Schmidt wurde ein Allerweltsname gewählt. Tatsächlich existieren auch Anwälte mit diesem Namen. Der Konkrete allerdings nicht. Dafür wurde für diesen eine virtuelle Identität generiert, die auch für das geübte Auge erst auf den zweiten Blick durchschaubar ist.
Bislang haben sich bei mir und unterschiedlichen Stellen zahlreiche Betroffene gemeldet. Aufgrund der professionellen Machart sowie der Mitteilung der realen Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm 234 (siehe oben) ist davon auszugehen, dass das Schreiben an zehntausende, wenn nicht hunderttausende Empfänger ergangen ist. Der Versender hofft wohl aufgrund des Schmuddelimages, dass Unterlassungserklärungen und nachfolgend Zahlungen eingehen werden. Bereits in der Vergangenheit gab es ähnliche Fake-Abmahnungen, die allerdings nicht derart professionell waren (vgl Fake Abmahnung xfun film). Begünstigt wird das Vorgehen der Täter dadurch, dass vor rund acht Jahren (auf Basis damals anderer Rechtslage) von Providern Nutzerdaten weitergegeben wurden und es damals zu realen Abmahnungen kam (vgl Fall realer Porno-Abmahnungen 2008).
Am 23.09.2016 wurde bereits Meldung an die Rechtsanwaltskammer Wien, die Rechtsanwaltskammer Berlin, das Bundeskriminalamt (Cybercrime-Competence-Center) erstattet.
Anwaltlicher Rat
Als Rechtsanwalt rate ich meinen Mandanten und allen Betroffenen zu reagieren wie folgt:
- Schreiben ignorieren
- Unterlassungserklärung keinesfalls unterschreiben und retournieren
- Meldung an das Bundeskriminalamt erstatten (BMI-II-BK-SPOC(at)bmi.gv.at zH Herrn Mag. Kahn)
- wurde unterschrieben und zurückgeschickt, keinesfalls einzahlen, falls Zahlung auf bestimmtes Konto gefordert wird
- wurde eingezahlt: Rückforderung einleiten (Strafanzeige mit Privatbeteiligung und/oder Klage)
- In jedem Fall, in dem Sie eine andere Abmahnung erhalten: Abmahnung grundsätzlich im ersten Schritt ernst nehmen und prüfen bzw prüfen lassen.
Gerne unterstütze ich sie bei den notwendigen Schritten, soferne Sie dabei Hilfe benötigen sollten.
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